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DIE GLORREICHEN ACHTZIGER

Serie aus der Zeitschrift »Messitsch«

//____Die Fraktion der frohsinnigen Tanzkapellen hatte es zweifelsohne etwas leichter, sich ein breites Publikum zu erspielen. Während einige Bands im Agitpropstil von der Bühne wetterten und andere in düsterem Moll Suizidgefühle pflegten, tanzte sich die Anhängerschaft der Beatcombos den Frust von der Seele.

    DIE ANDEREN gründeten sich Anfang 1985 in der Urbesetzung Stefan Schüler (bg), Steffen Krüger (dr) und Olaf »Toster« Tost. Krüger flog nach rhythmischen und persönlichen Differenzen im November '85 wieder raus; bat aber darum, wegen der Spielerlaubnis noch die Einstufung mitmachen zu dürfen. Der neue Trommler saß schon mit den Sticks in der Tasche im Publikum. Mit Mike Hille am Schlagzeug und um die Saxophonistin Anja Schiebold erweitert, begann der Aufstieg mit einer Serie von Konzerten im Frühjahr 1986 im Club an der Weißenseer Spitze.

    Daß Schlagzeuger komplizierte Persönlichkeitsstrukturen haben, hat kaum eine andere Band so deutlich erfahren. Für Mike Hille kam Mitte 1986 Chris Schwartinsky (ex-Happy Straps, Reuter) und nach dessen Ausreise im November Alexander Kriening (ex-Feeling B) für zwei Monate zur Gruppe. Nach einem obskuren Gig in der Sylvesternacht 1986/87 feuerte die Band Kriening und suchte angestrengt nach einem neuen Trommler. Hille sprang noch einmal für die Produktion der Cassette »Berlin Radio« ein, als Feeling B-Keyboarder Flake einen Kandidaten mit den Worten empfahl: »Nehmt doch den Jens von Kleinkariert, der steht immer auf, wenn er einen Break macht.«

    Argwöhnisch ob solcher Referenzen beäugt, drückte sich der Wunderknabe in vierzehn Tagen 25 Songs per Cassette drauf und spielte bei der ersten Probe fast fehlerfrei das gesamte Programm durch. Die Band atmete auf. Nach dem Wechsel des Managements und einem nunmehr stabilen line up stand die Gruppe im Zenit ihrer Kreativität. Stolz schmetterten DIE ANDEREN den Antrag des staatlichen Plattenmoguls Amiga ab, unter Einwilligung in die Textzensur auf einem später nach ihnen benannten Sampler zu erscheinen; eine Entscheidung, die nach dem reiflichen Studium westlicher Plattenverträge wohl anders ausgefallen wäre.

    Im Herbst 1987 stieg Ralf Lepsch (sax, ex-Hard Pop, ex-Reuter) ein, Monate später mußte Stefan Schüler zur Armee einrücken. Für ihn kam der sechzehnjährige Martin Rauer. Nach anfänglichen Reibereien harmloser Natur rauften sich die Musiker bei Gigs und Produktionen (zweite Cassette »Global Minded« 1988 und Rundfunkaufnahme von »Gelbe Worte«) zusammen und waren im Herbst gerade dabei, ein neues Programm zu machen, als bei Manager Lars Wünsche das Telefon klingelte und eine tiefe männliche Stimme sagte: »Hi, meine Name is Jack Rieley und isch habe produziert Jesus & Mary Chain for example. Can we meet?« Natürlich konnte man meeten.

    Die Euphorie schlug hohe Wellen; auch noch, als immer deutlicher wurde, daß sich der große Amerikaner aus vielen Gründen mehr für den Trommler Jens Müller interessierte.

    Aber das Land war klein und die verhießenen Perspektiven verlockend. Für's erste organisierte »Ran Jak« im Mai 1989 ein Konzert im Westberliner »Ecstasy«, das dann auch das letzte mit Trommler »Wonder J.« war. Von diesem Schlag hat sich die Band nicht wieder erholt. Auch die Umbesetzungen mit Dirk »Scholle« Scholz (ex-Wartburgs für Walter) und Karsten »Dafty« Richter (g, ex-Die drei von der Tankstelle) brachten den gewünschten Schwung nicht zustande. Am 23. Dezember 1989 gaben DIE ANDEREN in aller Stille ihr letztes Konzert.

    DIE ANDEREN als hundertprozentig kompromißlose Band zu bezeichnen, erscheint wegen ihrem Umschwenken in das Profilager staatlicher Definition 1988 als fragwürdig, dennoch waren die Absagen an Amiga und staatliche Jubelauftritte Bestandteil einer Grundphilosophie, die von den 3 von der Tankstelle gleichfalls geteilt wurde. Live glaubwürdig zu sein und den maximalen Fun zu verbreiten, war das Credo von Ralf Steinit (bg), Karsten »Dafty« Richter (g) und Rene Glofke (dr), die im November 1986 anfingen zu proben.

    Zu den gestandenen Altpunkrockern kam an Stelle von Glofke im Juni 1987 der Jazzer Alexander Hirche. Aufgestockt wurde die Gruppe noch im selben Jahr um die Saxophonisten Anja Schiebold und Rainer Lorenz (Die unschlagbaren 2) und später um die kuriose Backgroundabteilung Die widerwärtigen 3. Hellhörig geworden durch den Bandnamen, bot damals sogar der VEB Minol Förderung an. Das Geld muß dann irgendwo in den lecken Pipelines verdunstet sein.

    Anfänglich parallel entwickelte sich die Gruppe Tina has never had a teddybear, die aus dem '87er Weihnachtsparty-Projekt Bloody Christmas hervorging. Die Tankstellen-Rhythmusgruppe kombiniert mit dem Cold Step-Gitarristen Vico Wildanger perfektionierte den rauhbeinigen Sixties-Stil der Tankstelle zu einer derart ausgefeilten Mixtur von Bläsersätzen und Chorgesängen, daß hartgesottenen Beatlesfans das Wasser in die Augen stieg. Ihre wenigen größeren Konzerte waren außerordentlich erfolgreich. Im Palast der Republik mußten die fassungslosen Organisatoren erleben, wie zu dem gefälligen Penny Lane Sound dutzende Punks das hauseigene Kamerateam von der Vorbühne pogten und die braunbefrackten Saalordner der Lage nicht Herr wurden.

    Leider haben uns Tina has never had a teddybear keine brauchbaren Aufnahmen hinterlassen; ganz im Gegensatz zu den 3 von der Tankstelle, die im Sommer unter der Regie von Paul Landers (Feeling B) eine bemerkenswert gute Cassette produzierten. Möglicherweise hätten Tina... aber schon eine erfolgreiche LP-Produktion hinter sich, hätten sie nach dem phantastischen Auftritt im Sommer 1989 auf der Insel der Jugend das Angebot des Westberliner Labels Vielklang angenommen.

    Die Entscheidung hätte leichtfallen können, den die 3 von der Tankstelle waren bereits im März '89 aufgelöst worden und Dafty war bei den ANDEREN eingestiegen. Doch Jack Rieley sah den Tina-Gitarristen Vico lieber bei seinem Protege J. und blockte ab. Nach erfolglosem Probelager und persönlichen Differenzen trennte sich die Gruppe im Herbst.

    Vielleicht steht uns demnächst eine Reunion ins Haus, denn Trommler und Bassist werkeln schon wieder an neuem und altem Material. Dafty hat nach seinem Zwischenspiel bei den ANDEREN und einer kreativen Pause wieder eine Band mit dem poetischen Namen The Butterfly Collectors.

    Elektro Artist, im September 1986 hervorgegangen aus Aufruhr zur Liebe, existierten nicht mal ein Jahr. Trommler Martin Leeder und Basser Norbert Jackschenties spielten kurzzeitig bei Sascha Andersons Fabrik mit., Gitarrist Deo Buschkowski quälte seinen russischen Verzerrer »Efjekt Wah-Wah« schon beim Demokratischen Konsum und Sänger Oysseniou Siemsen, der fast alle Stücke textete, war Maler.

    Die Konzerteindrücke waren zwiespältig: Das notorische verstimmte Instrumentarium vermieste einem öfter mal den Hörgenuß, aber das Songmaterial war von allererster Güte. Das swingende Schlagzeug und der treibende Bass, unterlegt mit eigenwilligen Gitarrenläufen, bildeten das Fundament für Oyssenious Quetschstimme und Norberts Heulbojengesang. Elektro Artist veröffentlichten die Cassette »Closed seasons«, die zur einen Hälfte aus einem Livemitschnitt und zur anderen aus Vierspuraufnahmen (produziert von Arnim Bautz, New Affaire) bestand.

    Bis auf Tina has never had a teddybear haben alle genannten Bands einmal in dem legendären Hinterhaus in der Friedrichshainer Liebigstraße geprobt, in dem bis zur Räumung im Sommer 1987 zwölf Projekte ihr Domizil hatten. Zeitweilig existierte sogar ein gemeinsames Management. Das Auftauchen des großen Gurus aus Übersee beendete schließlich die Karriere der ANDEREN und Tina has never had a teddybear gleichzeitig. _____\\

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