3. Leipziger Rockwettbewerb - URGH! Nr.8 (unveröffentlicht)

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Der 3. Leipziger Rockwettbewerb - ein Nachtrag

Noch so ein verdeckter Aspekt der Marktwirtschaft: einmal im Jahr trifft sich der städtische Szene-(?!) nachwuchs und buhlt um die Gunst des Publikums und einer fragwürdigen Jury. Dem "Sieger" winken dann 5000 Silberstücke, den "Platzierten" diverse gesponserte Geld- oder Sachpreise. Der Auswahlmodus der Teilnehmer waren eingesandte Demotapes, also hat jede der acht Bands, die dann am 11. Dezember schließlich die Bühne bevölkerten, schon von vornherein irgendwie gewonnen. Mir muten solche Wettbewerbe immer an, als würden sich die Meister verschiedener Wintersportarten zu einem Radrennen treffen, denn schließlich definierte sich ja jede Band das Aufgehen ihres Konzeptes auf völlig andere Weise: sollen die Leute tanzen, mitsingen, sich kloppen, mit intellektuell verklärten Gesichtern lauschen, lachen oder mit zugehaltenen Ohren den Saal fluchtartig verlassen (ja, auch das war und ist erklärtes Ziel diverser Combos!) ? Meiner Meinung nach stünden die 5000 Mäuse eher der Band zu, deren hochgesteckte Soundvorstellungen am eigenen miesen Equipment scheitern und die darum das beschissenste Konzert abliefern ... sei's drum, wenigstens ist dieser Wettbewerb eine Möglichkeit, an einem Abend für wenig Geld einen mehr oder minder repräsentativen Überblick über die "Szähne" zu bekommen oder sich wenigstens kulturvoll zu besaufen.

Bevor ich nun die Leipziger Hoffnungsträger etwas näher beleuchte, ein paar Worte zu den unangenehmen Begleiterscheinungen. Die Mainstream-Langweiler Undercops versuchten es mit Bryan-Adams-Creditibility und Flanellhemden, umsonst, da keine Songs zu erkennen waren (hatten zu dem Zeitpunkt schon eine CD in der Tasche, solche Pfeifen schaffen es leider immer wieder). Bei Indigo Blue dasselbe Problem, Blümchen-Rock zum Abgähnen, der Frontfrauen-Bonus a la Bobo/Rainbirds hat bei mir eh schon lange abgegessen. Ober-Arsch des Abends war aber zweifellos Mister Dubone, ein Musikschul-Heini, der sich als James Brown für Arme profilieren wollte. Dümmliche Macho-Anmache und verschwitztes Hemd machen aber noch nicht den Funk aus und ein Versuch als Soul-Crooner endete oberpeinlich, weil dieser arrogante Pinsel an totaler Selbstüberschätzung leidet. Seine echt professionelle Band Just For Funk, die wirklich Druck machten, wurden im Infoblatt ganz demokratisch so vorgestellt: Guit/Drums/Bass/Keyb/Tr/Tb/Sax! Ist aus Sicht von "Powerman" Dubone sicher ganz ökonomisch, weil ihm die Musiker vor seiner schleimigen Egozentrik nahezu stündlich wegrennen. Ungerecht aber abzusehen war, daß Dubone den Siegerpreis einheimste, kein Wunder wenn solche "Spezialisten" in der Jury sitzen wie Leute vom "Kreuzer", vom Format-Radio "Energy" und von den "Prinzen"(!).
Aber auch erfreulichere Töne waren zu vernehmen. Ten Colors und Snuff Your Feet verfügen bereits über zahlreichen Szeneanhang, die Colors für einen tanzinfizierenden Mix aus Ska, Reggae und HipHop mit einem geilen Sänger und erfreulich harten Gitarren; SYF mit hinterhoferprobtem, krachigem Punk-Metal mit deutlichem Industrial-Einschlag, seit Gitarrist Heavyette bei den Shootingstars T.A.M. Marmelade fürs Brötchen mitverdient. Dramaturgisch gut platziert spielten sie als letzte, denn die Stagediver aus Connewitz verwandelten den ohnehin schon etwas ramponierten Saal in ein Schlachtfeld.
Nach dieser Abteilung "Bewährte Kräfte" nun noch ein Blick auf die drei Bands, die sich um Innovation bemühten und in meinen Augen daher am preiswürdigsten waren. Platz Drei an die skurrilen Unicycleman, alles sehr geheimnisvoll und avantgardistisch, früh-80er-mäßig mit dem Equipment der 90er, sprich Computer und Plastik-Ukulele, irgendwo zwischen AG Geige, Foyer des Artes und Der Plan. Die angeklebten Bärte, Sonnenbrillen und Goldlamé-Anzüge habe ich zuletzt bei den genialen Motion gesehen. Den positiv-verwirrenden Gesamteindruck beeinträchtigte nur das beknackte Gelaber zwischen den Songs, wirkte uncool und nicht sehr selbstsicher.
Wie der eine von den Einradmännern ging auch das Trio Korus Hades aus den Ravepoppern Scandalous Smile hervor. Doch weder diese Vergangenheit, noch die selbstaufgezogene Schublade "Breakadelic Krautfloor" oder der gelinde gesagt bescheuerte Bandname (klingt wie so'ne Zillo-"Wave"-Scheiße) gaben Rückschlüsse auf die harte Kost, die der ex-ScandSmile-Frontmann Torsten Preuss mit zwei Mannen zum Besten gab. Zerklüftete, unbehauene Songs in Ami-Noise-Avantgarde-Manier, sperrig und garantiert tanz-unkompatibel erinnerten sie an ganz alte Gang Of Four / Bristol-Sound. Ich finds ja sowieso geil, wenn auf dem Bass Akkorde geschrammt werden, eine Gitarre kam nur zum Einsatz wenn Sänger/Basser Torsten den Viersaiter weglegte. Für Minuspunkte sorgte nur der etwas dünne Sound und eine Neufassung des Albert-Hammond-Covers aus Schandfleck-Schülerpunk-Tagen "Es regnet nie in Halle-Neustadt", da kamen nochmal die Pubertätspickel zum Vorschein. Mit etwas mehr Mut und Konsequenz könnten Korus Hades zum Beispiel die "neuen" Neu Rot um Längen schlagen. Da noch verbesserungswürdig, hätte also ihnen der Siegerpreis zugestanden, denn an meinen abendlichen Favoriten, den musikalisch völlig konträren und für den größten Teil des Publikums überraschendsten Part dieses Wettbewerbs gab es nichts auszusetzen.
Satyr war ursprünglich Titel eines Singspiels von Pierre Bosolum, eine symbolträchtige Dramatisierung eines Songzyklus um eine imaginäre Handlung mit Kostümen und mehreren Darstellern (Gott was schreib ich hier für eine Scheiße), also eine rechte Kopfgeburt. Personalbedingt wurde das Theaterelement abgespeckt und Satyr wurde zum Titel einer konventionellen Besetzung, die die Musik des Singspiels pur anbietet. Doch das Wagnis, mit Akustik-Klampfe, Piano, Geige und Schlagzeug gegen die Rock'n Roll Meute anzutreten, ging voll auf. Bosolums fragile Songs tragen auch ohne den theatralischen Rahmen, sie leuchten von innen heraus und entwickeln eine Intensität, die alleine mit Verstärkern nicht zu erreichen ist, Krach und Lautstärke sind eben zwei verschiedene Dinge! Daß trotz der Instrumentierung keine anämische Volkstanzstimmung aufkam, lag nicht zuletzt am intensiven Wechselspiel der vollen Stimme von Prinz-Eisenherz-Lookalike Pierre und dem feenartigen Singsang von Jule Roch, es entstand eher eine dunkle, mystische Aura wie bei (und dieser Vergleich ist nicht zu weit hergeholt!) Neo-Folk-Sektierern vom Schlage Death In June oder Current 93 (na, jetzt hab ich aber schlafende Hunde geweckt ...). Das verdatterte wie begeisterte Publikum nötigte den Fünfen dann auch die erste Zugabe des Abends ab (Schleimbeutel Dubone hatte gleich von selber eine angehängt). Und wenn es das einzige Kriterium für meine Wahl von Satyr als Siegerband gewesen wäre: die einzige von allen gehörten Melodien des Abends, die mir noch auf dem Nachhauseweg (und jetzt gerade wieder) im Kopf herumspukte, stammte aus Bosolums Feder: "... in the backyards of your garden .... in the backyards, in the backyards ..." - ein extraordinäres Debüt!

Kommentar 2013: Ich habe diesen Text mit anderen in einem Mäppchen im Keller gefunden für eine nicht mehr realisierte Nummer 8 meines Fanzines URGH!, als Konzertreview vom Dezember 1993 hätte sie eigentlich in Nummer 7 gehört aber auch die erschien erst im Juni 1995 also sollte es wohl irgendwie nicht so sein ... mit meiner Satyr-Begeisterung stand ich damals mächtig alleine, ein größeres Porträt der Band war gleichfalls für Nummer 8 in Arbeit. As time goes by ...