Im Übrigen, die anderen tun das nicht - Ein Hard Pop Konzert - Unterhaltungskunst 1986

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Manuskript für die Zeitschrift "Unterhaltungskunst".

Eine dicke, vorwiegend schwarz betuchte Menschentraube vor dem Eingang zum Jugendclub in der Weißenseer Langhansstraße signalisiert musikalische Aktivitäten in dem für seine Experimentierfreudigkeit bekannten Etablissement. An jenem Abend Mitte September spielte dort allerdings eine Gruppe, die längst kein Risikofaktor für den Kartenabsatz eines Veranstalters mehr ist. Eher schon für den Konzertbesucher, der seine Nase nur noch an dem rasch hingekritzelten "Ausverkauft" plattdrücken kann und mürrisch dem einen oder anderen "geladenen Gast" Platz machen muß. Auch ich war geladen, eigentlich, um mir die Gruppe Hard Pop in einer neuen Besetzung anzusehen.

Im schon zu Beginn recht verqualmten Saal des Klubs waren wiedermal all die Unverzagten anzutreffen, denen man in Berlin bei einschlägigen Veranstaltungen begegnet. Sie nennen sich selbst "die Szene" und unterscheiden sich vor allem äußerlich von denen, die sich nicht so sehr inszenieren. Vorwiegend schwarz, aber auch mal ganz bunt, in jedem Fall ganz anders. In der Straßenbahn dreht man sich nach Ihnen um, jetzt sind sie unter sich und wollen ihre Musik hören.

Vor dem Hauptteil mit Hard Pop spielt eine andere Berliner Band, die für mich die definitive Reggae/Ska-Gruppe der DDR ist: die anderen. Bei Gelegenheit sollten auch sie in diesem Blatt vorgestellt werden. Nach ihrem locker, mitreißenden Set kommt dann die eigentliche Attraktion. Leider nicht, wie angekündigt mit dem neuen Vokalisten. Sei Name ist Jan Meissner und er wird, wenn dieser Artikel erscheint bereits bei jedem Hard Pop Konzert singen.

Auch an diesem Abend begann die Gruppe mit einem scheinbar chaotischen Tongemisch, aus dem sich alsbald die Melodie eines bekannten russischen Volksliedes herauskristallisiert. Schon bei dieser Gelegenheit fällt ein Musiker besonders auf: links am Bühnenrand, der Gitarrist Stefan Bieniek, der erst seit kurzem bei Hard Pop mitspielt.

Ich bin mir sicher, dass er ein Gewinn für die Band ist. Ich habe lange keinen so intensiv spielenden Gitarristen gesehen, einen, der nicht nur die Saiten seines Instrumentes benutzt, sondern die ganze Gitarre "bearbeitet". Klar, wo er das gelernt hat, aber schließlich ist Jimi Henrdix nicht das schlechteste Vorbild, auch für einen Rockmusiker der 80er Jahre. Wenn Stefan zu einem Chorus ausholt, scheint er zu vergessen, dass es im Saale noch andere Leute gibt: er ist allein mit seinem Instrument. Ein inniges Paar, das schon nach kurzer Zeit zu einem Eckpfeiler im Gruppengefüge geworden ist. 

Ralph Lepsch, der Mann am Saxophon, der im Hauptberuf als ordentlich bestallter Lehrer vor Schülern einer POS unseres Landes steht, gehört zu den Ur-Hard-Poppern. Gegründet wurde die Gruppe unter dem Namen R0SA EXTRA. Später einigte man sich auf das eindeutigere HARD POP. Nun scheiden sich zwar auch an diesem Namen die Geister, weiß man doch, was unter dem Begriff Pop-Musik im allgemeinen zu verstehen ist. Aber dazu gleich mehr. Hier die anderen Kollegen der Band.

Günter Spalda, neben Ralph Lepsch der einzige verbliebene Mitbegründer, ist von Anfang an der "Boss vons Janze" und sitzt am Schlagzeug. Die Legende berichtet, dass er früher auch gesungen haben soll Der knapp zwei Meter große, ehemalige Bäcker schreibt dis meisten Songs bei HARD POP und führt die Geschäfte. Der persönliche Umgang mit ihm ist nicht immer leicht, aber das mag den Konzertbesucher nur in zweiter Linie interessieren. Günter Spalda ist derjenige, der die hohen Ansprüche stellt und kompromisslos durchsetzt. Das scheint mir der Faktor zu sein, der die Kontinuität in der Entwicklung der Band sichert. 

Christian Zimmermann der Bassist, ist der Motor auf der Bühne. Er spielt mit dem Gitarristen und dem Saxophonisten all die Rock'n'Roll-Bühnen-Spiele, die wir kennen. Warum nicht, wenn's dem Auge etwas gibt. Denn schließlich reicht es nicht immer, wenn ein paar Unentwegte aus dem Publikum unten Pogo tanzen. 

Michael Matthies war bislang am HARD POP Mikrofon zu Gange. Dass er gegen Jan Meissner ausgetauscht wurde überrascht wohl die wenigsten. Michael war nicht die Persönlichkeit, die das HARD POP Konzept an den Mann bringen konnte. Oft machten die Instrumentalisten neben ihm mehr Eindruck als er, der als Sänger doch im Mittelpunkt stehen sollte. Einziges Glanzlicht, auch an jenem Abend war seine Interpretation des Rock Klassikers "Fever", der immer wieder eine fast brutale Abrechnung dem "Hero" Elvis ist.

Wie sieht nun dieses HARD-POP-Konzept aus? Eigentlich nichts Ungewöhnliches. Die Gruppe spielt Rockmusik, die nicht unbedingt auf ein Viertel-Takt-Schema festgeschrieben ist, bei der Gitarre und Saxophon dominieren. Also gibt es zum Beispiel keine großen Synthesizerflächen. (Einziges Keyboard ist ein Kindersynthesizer, der im Laufe eines Konzertes ganze zwei Mal zum Einsatz kommt.) Fixpunkte der musikalischen Orientierung der Band sind die Rock-"Klassiker" (Cover-Versionen:  "Children Of The Revolution" / "My Generation") und die zwanziger Jahre. Und sicher ist auch die Kenntnis der in England außerhalb der Hitparaden gespielten Musik nicht ganz unbeteiligt  am jetzigen Konzept von HARD POP. 

Bliebe noch das oft geäußerte Unverständiss gegenüber der Musik von HARD POP und ähnlichen Bands (Feeling B., Die Anderen, Koma Kino u.a.). Ein Unverständniss, das sich sowohl gegenüber der Musik, als auch gegen die Texte der Gruppe artikuliert.  Im Juli wünschte uns Jan Raymon in der UK-Radio-Kritik "eine Alltagskunst, die statt den schönen Schein der Künstler zu bespiegeln, das Sein des Publikums beleuchtet. Eine Kunst, die nicht ein in den Konturen bereits vorgezeichnetes Leitbild ausmalt, sondern ihre dialektische Weltanschauung aus der Anschauung der Welt gewinnt." Sehr Wohl. Gerade diese Kunst kann uns Hard Pop bieten. Weil hier Leute musizieren, die es sich nicht all zu leicht mit ihrer Umwelt machen. Es geht ihnen nicht um  die schnelle Rock'n'Roll-Mark, sondern um Denkanstöße. Und die sind mit "freundlichem Rock", egal woher, nicht zu erreichen. HARD POP ist nicht nebenher zu konsumieren, und genau deshalb so wichtig. 

Lutz Schramm