X-Mal! Musik zur Zeit

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Konzertreihe in Berlin, gestartet im Februar 1986 im Kreiskulturhaus (KKH) Treptow, später auch in anderen Jugendklubs der Hauptstadt.

Die Idee und ihre Umsetzung kam aus einem Kreis von "Musikenthusiasten", die zu dieser Zeit relevante Positionen im FDJ-Kreisjugendklub "Pablo Neruda" auf der Insel der Jugend eingenommen hatten: Lars Wünsche (später auch Klubleiter) sowie Eberhard "Ebi" Fischel (späterer Insel-Chef bis 1998) und Ronald Galenza, die anfangs als "Kassetten-DJ's" (ohne Einstufung!) das Programmkonzept gestalteten. Ihr selbstbewusst formuliertes Anliegen, mit einem Musikangebot konsequent aktueller Trends aus Punk & New Wave sowohl aus der Konserve wie auch live ihr Publikum "abzuholen", fiel mit andernorts hinter verschlossenen Türen getroffenen kulturpolitischen Erwägungen zusammen. Mit Angeboten statt Verboten wollte man die DDR-Jugend zurückgewinnen oder zumindest deren subkulturelles Abdriften kontrolliert begrenzen.
Die so unverhofft gewährten Freiräume füllte das Insel-Team mit zwangsläufig quotenbefreiten Indie-Diskotheken, Musik-Vorträgen und Bandporträts (die aber nach kurzer Zeit mangels Publikumsinteresse wieder eingestellt wurden), sowie vor allem einer offenen Bühne für einheimische Bands der neuen Szenen. Schon im Frühjahr 1986 suchte man diesbezüglich Kontakt zu Lutz Schramm, den zeitgleich (März 1986) auf der Bildfläche erschienenen Parocktikum-Impresario, und nutzte Synergien zum beiderseitigen Vorteil (lies dazu hier). Schramm sorgte für die rasche Bekanntheit des X-Mal!-Programmes und empfahl bzw. vermittelte dem Team zahlreiche auswärtige Neutöner, die sich bei ihm mit Demo-Tapes gemeldet hatten. Im Gegenzug partizipierte er vom Ruf und Flair des neuen Klubs, knüpfte bei den Konzerten eigene Kontakte und erhielt z.B. in Form der mit der Salzwedeler Düsterband Rosengarten und dem Freien Orchester im Dezember 1987 in Treptow aufgezeichneten Parocktikum-Session exklusives Sendematerial.
Bei der Akquise für ihre regelmäßigen Konzerte nutzten Wünsche & Co. erstaunlich ähnliche Methoden wie die seit 1984 in Leipzig tätige IG Rock. Über ein Kontaktenetzwerk wurden Bands erreicht, die sich gerade erst im Proberaum eingerichtet hatten und so konnte man viele Talente als erste präsentieren. Auch für das DDR-interne Problem mit den obligatorischen staatlichen Spielerlaubnissen wurde ein Workflow geschaffen. Jungen Bands wurde eine Ausnahme-Auftrittsgenehmigung besorgt und das folgende öffentliche Konzert konnte gleich für eine "Einstufung" genutzt. Danach stand, bei entsprechend beiderseitiger Geschmeidigkeit, weiteren Auftritten nichts mehr entgegen. Dennoch fanden auch einzelne Konzerte nicht eingestufter Bands unter Tarn-Namen statt (s.u., weitere Auflösungen möglich).
Natürlich blieb beim Thema "Einstufung" der oppositionell eingestellte Teil der Punkgemeinde konsequent außen vor: als Lars Wünsche auch im "Leichenkeller" der Erlöserkirche für sein Etablissement nach frischen Bands nachsuchte, erhielt er eine Abfuhr.
Das Selbstverständnis des X-Mal!-Teams schloß selbstredend auch die Präsentation authentischer, also westlicher Interpreten mit ein. Bei der Debütveranstaltung am 23. Februar 1986 war der Coup gelungen, den britischen Punkliedermacher Billy Bragg vom "16. Festival des Politischen Liedes" gewissermaßen "abzuzweigen". Und bald danach segelten die westdeutschen Noise-Piraten KIXX unter der unverfänglichen Jazz-Flagge durch das nach Soundexzessen hungernde Konzertpublikum. Doch erst ab Herbst 1988, nachdem sich internationale Superstars wie Joe Cocker, Bob Dylan, Depeche Mode oder Bruce Springsteen in Ostberlin die Klinke in die Hand gaben, wurden auch ein paar Devisen für die abgespeckte Independentversion freigegeben, die meisten kamen dennoch über Musikerkontakte kostengünstig aus dem benachbarten Westberlin.
Mit der Mauer fielen alle Beschränkungen, gleichzeitig fluteten tausende Rockklangkörper aus dem Westen den musikalisch ausgezehrten und noch immer unerfahrenen Osten, auch der kulturwirtschaftliche Konkurrenzdruck zog heftig an. Im Jahr 1990 veranstaltete X-Mal! ebensoviele Konzerte wie in allen vier Jahren zuvor zusammen, aber weniger als deren Hälfte wurden nun mit Ostberliner oder ostdeutschen Bands bestritten. Anfang 1991 wurde die Konzertreihe eingestellt.
Lars Wünsche arbeitete bereits vor 1990 erfolgreich als "Manager" für einige der bekanntesten "anderen bands" wie Die Art und die anderen, nach 1990 auch z.B. für Rosengarten und Fleischmann.
Der X-Mal!-Mitschnitt von The Real Deal wurde unter dem Titel"By the Wall - Live in Berlin" als Tape (1989) und später als LP (2020, Truemmer Pogo TrP 066 / Elbtal Records) veröffentlicht.

Netzinfo: beat-poet.de | www.rockinberlin.de | Interview mit Ebi Fischel 1999 | Interview mit Fischel & Galenza 2011 | Galenza / Havemeister 1999, S.265ff.

Konzerte

Die Auflistung der Konzerte beruht auf dem Abgleich von drei überlieferten Dokumenten. Einige offensichtlich falsch erinnerte Zuordnungen wurden korrigiert, Auftrittsorte können dennoch variieren. Der "Pablo Neruda" Klub in der Inselbrücken-Villa wurde im Herbst 1987 wegen baulicher Mängel gesperrt und konnte erst zwei Jahre später wieder genutzt werden, das Open Air fand auf der benachbarten Freilichtbühne statt. Die Ausweichspielstätten KKH Treptow und JK "Gérard Philipe" lagen im selben Stadtbezirk. VA mit (*) wurden später nur in Galenzas Konzert-Tagebuch als X-Mal! Veranstaltungen bezeichnet. Auch die Schreibweise "X-Mal! Musik zur Zeit" stammt aus Galenzas Erinnerungen von 1999, in zeitgenössischen Dokumenten werden daneben weitere Varianten verwendet.
Das Eröffnungskonzert des "Off Ground" Festivals in Potsdam am 20. November 1987 wird teilweise ebenfalls als X-Mal! Event genannt, eventuell war es ein konzeptioneller "Ableger".





Im Anschluss sind nur noch die Konzerte mit Parocktikum-relevanten Bands aufgelistet. Die meisten der Gast-Bands stammten aus dem damaligen West-Berlin. Der JK "Pablo Neruda" wurde in diesem Zeitraum zunächst in "Die Insel", heute "Kulturhaus Insel Berlin" umbenannt.